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Werkgespräch #42 mit Eva und Alex von MEDI:CUS
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Werkgespräch #42 mit Eva und Alex von MEDI:CUS

Die Zukunft der Gesundheitsdigitalisierung in Baden-Württemberg

Im Südwesten nichts Neues? Das Gesundheitswesen steht vor einer tiefgreifenden digitalen Transformation, die eine Revolution erfordert und nicht mehr kleinteilig gedacht werden darf. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg vergleicht das mit einer Schatzsuche, auf die sich MEDI:CUS begeben hat.

Eva Schulz wörtlich: »Wir sind Schatzsucher, die den Datenschatz heben wollen«.

Wie dieser Schatz aussehen könnte – in Form von Daten, die fließen und eine Datenspende einfach machen – haben wir versucht, im Gespräch mit Eva Schulz und Alexander Becker herauszufinden.

Um den längst ausreichend analysierten Herausforderungen zu begegnen und die medizinische Dateninfrastruktur zu verbessern, hat das Land Baden-Württemberg eine wegweisende Initiative gestartet: MEDI:CUS – die Gesundheitscloud. Diese Plattform zielt darauf ab, den Datenaustausch zu vereinfachen, die Interoperabilität zu fördern und ein kollaboratives Ökosystem für Gesundheitsanwendungen zu schaffen. Die emergente Bedeutung dieses Vorhabens ist nicht zu unterschätzen.

Das gesamte Gespräch findest Du auf LinkedIn. Falls Du gerade auf dem Hauptstadtkongress bist, speichere diesen Beitrag und lies oder höre ihn später.

In diesem Bulletin haben wir einen Schnellüberblick generiert.

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MEDI:CUS: Eine Gesundheitscloud für Baden-Württemberg

Im Kern ist MEDI:CUS eine Gesundheitscloud, die eine dringend benötigte Infrastrukturverbesserung im medizinischen Bereich ermöglichen soll, insbesondere angesichts des Mangels an Fachkräften und anderer Ressourcen. Ein zentraler Aspekt ist die Entwicklung einer cloudagnostischen Architektur. Dies bedeutet, dass die Plattform nicht an einen spezifischen Cloud-Anbieter gebunden ist, sondern flexibel verschiedene Anbieter integrieren kann. Dieser Ansatz vermeidet Abhängigkeiten und gewährleistet maximale Anpassungsfähigkeit. Die alte Aussage, »Cloud sei nicht mehr sicher«, kann man heute nicht mehr aufrechterhalten, was die Akzeptanz des Cloud-Konzepts erleichtert. Das Hauptziel von MEDI:CUS ist die Vereinfachung des Datenaustauschs und der Interoperabilität zwischen verschiedenen Gesundheitseinrichtungen, die oft noch in digitalen Insellösungen verhaftet sind. Dabei spielt die Legalität des Datenaustauschs eine entscheidende Rolle. Über die technische Implementierung hinaus verfolgt MEDI:CUS einen Community-basierten Ansatz, der die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen allen relevanten Stakeholdern im Gesundheitswesen fördert. Mit bereits 5 beteiligten Ministerien und über 200 Stakeholdern ist dies ein Mammutprojekt. Langfristig soll dies zur Etablierung einer Plattformökonomie im Gesundheitswesen führen, ähnlich einem App-Store, der qualitätsgesicherte Gesundheitsanwendungen bereitstellt und Raum für neue Geschäftsmodelle schafft. Man spricht hier von einem Ökosystem, das hohe Qualität und Sicherheit verspricht.

Etwas pragmatischer klingt das, als dürften wir davon ausgehen, dass aus den Verheißungen weniger Doppeluntersuchungen, schnellere Diagnosen, personalisierte Medizin in einer absehbar idealen Welt etwas werden könnte.

Perspektiven der Projektleiter: Vision und Notwendigkeit

Die Projektleiter Eva Schulz und Alexander Becker gaben uns im Werkgespräch #42 Einblicke in die Vision und ein Update zum Projekt MEDI:CUS. Eva Schulz betont die dringende Notwendigkeit, Fachkräfte im Gesundheitswesen durch Digitalisierung zu entlasten, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die Litanei kennen wir schon. MEDI:CUS jedoch bleibt vollmundig und avisiert, dass dezentrale Aspekte im Gesundheitswesen immer wichtiger werden.

Ihre Vision ist es, dass Ärzte und Pflegepersonal weniger Zeit mit administrativen Aufgaben verbringen und sich stattdessen intensiver um die Patienten kümmern können. Auch das klingt üblich, zielt aber systemisch auf die Strukturen des Gesundheitswesens. Hier darf man mehr vermuten als eine reine Arbeitsentlastung. Es geht um eine neue Arbeitsteilung und eine Kooperation auf einem neuen Ordnungsniveau. MEDI:CUS offeriert sein Potenzial dadurch, dass ein Shift beim Ordnungsniveau der Kooperation unter Gesundheitsakteuren in den Blick genommen werden kann. Das betrifft auch die Patientinnen und Patienten, die sich bald anders eingebunden fühlen dürfen.

Alexander Becker verdeutlicht deshalb berechtigterweise, dass MEDI:CUS weit mehr als eine reine IT-Initiative ist; »Wir sind kein IT-Projekt«, so Becker, es ist eine umfassende Transformation des gesamten Gesundheitssystems. Beide Projektleiter sind sich einig, dass standardisierte digitale Lösungen den administrativen Aufwand für Kliniken erheblich reduzieren können. Eva Schulz sieht MEDI:CUS als wichtigen Vermittler, der Kliniken den Zugang zu vorgeprüften, datenschutzkonformen und praxistauglichen Lösungen erleichtert. Alexander Becker hebt hervor, dass der Community-Gedanke – die aktive Einbindung und Zusammenarbeit aller Akteure – der Schlüssel zum Erfolg des Projekts ist.

Darin steckt einiges Potenzial, den aufkommenden Wettbewerb zwischen Kliniken seit Einführung der DRG zurück in kooperative Strukturen zu lenken. Natürlich konkurrieren Gesundheitsanbieter in einem gewissen Maß. Der jetzt ins Haus stehende Technologiewandel, der sich von der substanziellen Medizintechnik immer stärker auf datengestützte Prozesse verlagert, überträgt sich nicht nur auf die Gesundheitsversorgung, sondern wird sich auf die Forschung erweitern. Forschung folgt dabei der klinischen Versorgung. Das betonen sowohl Eva als auch Alex. Zunächst kümmert man sich bei MEDI:CUS um die Versorgung. Also logische Konsequenz gelangt man dann zur Forschung.

Bildungsherausforderungen: Hindernisse auf dem Weg zur Digitalisierung

Der Weg zur umfassenden Digitalisierung im Gesundheitswesen ist mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Alexander Becker beschreibt die Schwierigkeit, von isolierten Einzellösungen zu einer kohärenten und umfassenden digitalen Transformation zu gelangen. Ein großes Problem stellen die Datenschutzanforderungen dar. Alter Hut. Doch auch hier scheint das Projekt nicht wie üblich zu ticken.

Eva Schulz erwähnt, dass strenge Regularien oft die Implementierung nützlicher Tools wie Messenger-Dienste behindern, obwohl diese die Kommunikation deutlich verbessern könnten. Hier trifft die Perspektivendivergenz beim Datenschutz auf die machbare Einfachheit der gewünschten Funktionalität. Das Gesundheitswesen muss lernen, sich der Komplexität nicht länger zu verweigern, die hinter Diensten wie WhatsApp oder Telegram steckt und die – gar nicht mal mehr mit unbehaglichem Gefühl – vom Gesundheitspersonal genutzt werden, weil das Gesundheitswesen kein adäquates Angebot macht.

Natürlich gibt auch systemische Grenzen: Alexander Becker spricht von der Trägheit etablierter Strukturen und Denkweisen in den »sozial-systemischen und strukturell verwöhnten Akteurswelten« des Gesundheitswesens, die Veränderungen erschweren und oft zu einer »Verweigerung gegenüber der Cloud« führen. Ein wiederkehrendes Problem, das Eva Schulz identifiziert, ist die mangelnde Interoperabilität zwischen den existierenden, oft proprietären Systemen in den Kliniken. Nicht zuletzt sind finanzielle Beschränkungen ein erhebliches Hindernis, das eine schnellere Umsetzung innovativer Lösungen oft ausbremst, wie Eva Schulz anmerkt.

Die Devise folgt also der Einsicht, dass aus Krankenhäusern und Kliniken und schon gar nicht aus Arztpraxen innovative Start-ups würden. Viele Jahre haben wir geglaubt, der medizinische Wettbewerb ließe sich auf die datengestützte Medizin übertragen. Das klingt hier und heute ganz anders. Die Kooperationsbereitschaft haben wir oben schon erwähnt. Der Fokus auf das Wertangebot von Gesundheitseinrichtungen im Kern und im Sinne des Leistungsauftrags scheint mit der für den Herbst angekündigten Kollaborationsplattform eine Richtung zu bekommen. Zumal sich MEDI:CUS auch als Blaupause für Verwaltungsapparate und andere Umgebungen denken lässt, wo wir es mit heterogenen Daten über multiple Schnittstellen zu tun haben.

Vorgeschlagene Lösungen: Ein App-Store-Modell für das Gesundheitswesen

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, schlägt MEDI:CUS konkrete Lösungen vor. Die bereits erwähnte cloudagnostische Plattform ist entscheidend, um Abhängigkeiten zu vermeiden und eine breite Akzeptanz zu fördern. Ein innovativer Ansatz ist das App-Store-Modell, das Eva Schulz als Konzept eines kuratierten Marktplatzes für geprüfte und sichere Gesundheitsanwendungen erklärt. Die schrittweise Implementierung sieht vor, zunächst mit einfacheren Anwendungen wie Speicherlösungen und Kollaborationsplattformen zu beginnen, später komplexere Dienste zu integrieren. Für Herbst 2025 sind die Einführung eines Gematik-zertifizierten interoperablen Messengers und eines S3-Cloud-Speichers als erste nutzbare Anwendungen geplant. Alexander Becker spricht von der Vision interoperabler Messenger-Dienste, die es verschiedenen Systemen ermöglichen, nahtlos miteinander zu kommunizieren, beispielsweise für ein digitales Tumorboard. All diese Entwicklungen sollen durch eine Community-basierte Entwicklung vorangetrieben werden, bei der alle relevanten Stakeholder aktiv in den Prozess einbezogen werden. In einem weiteren Schritt lassen sich dann Konsile und weitere Kooperationen und Netzwerke etablieren.

Empfehlungen für den Erfolg: von der Vision zur Realität

Für den langfristigen Erfolg von MEDI:CUS sind mehrere Empfehlungen von entscheidender Bedeutung. Der Fokus auf Nutzerfreundlichkeit ist unerlässlich; die entwickelten Lösungen müssen den tatsächlichen Bedürfnissen der Kliniken entsprechen und deren Arbeitsabläufe vereinfachen, ganz im Sinne schwäbischer Sorgfalt und Genügsamkeit. Alexander Becker hebt die Bedeutung einer zielgruppenorientierten Kommunikation hervor, um die verschiedenen Stakeholder passgenau anzusprechen. Eine iterative Entwicklung, bei der die Plattform schrittweise implementiert und kontinuierlich basierend auf Nutzerfeedback angepasst wird, ist ebenfalls wichtig. Eva Schulz betont die Notwendigkeit einer überregionalen Zusammenarbeit, um über Landesgrenzen hinweg zu kooperieren und das gesamte Gesundheitssystem zu verbessern. Um die Akzeptanz zu fördern, wünscht sich Alexander Becker das Sammeln von Testimonials – positiven Erfahrungsberichten von Nutzern. Und schließlich empfiehlt Eva Schulz, finanzielle Ressourcen zu bündeln, um verschiedene Fördertöpfe zusammenzuführen und größere Fortschritte zu erzielen.

Ergo

MEDI:CUS ist ein ambitioniertes und notwendiges Projekt, das das Potenzial hat, die Digitalisierung des Gesundheitswesens zunächst in Baden-Württemberg maßgeblich voranzutreiben. Durch einen innovativen, Community-basierten und interoperablen Ansatz kann es dazu beitragen, Fachkräfte zu entlasten, die Patientenversorgung zu verbessern und Deutschland im Bereich der digitalen Gesundheit europaweit an die Spitze zu bringen.

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